Man lacht mit der Kehle, das stimmt. Aber man weiß nicht so recht, woher das Lachen kommt.
Ich denke, dass es tief in unserem Bauch, behaglich im Warmen und gut verborgen, eine Lachkiste gibt
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Translated by Johannes Honigmann
Mein Großvater trug eine Badehose aus Wolle. Sie war engmaschig gestrickt, damit das Wasser sie nicht verformt. Mit einem breiten Ledergürtel war sie an seiner Taille befestigt. Die Schnalle aus rostfreiem Stahl konnte dem wiederholten Eintauchen gut widerstehen. Ich war acht Jahre alt. Ich beobachtete meinen Lieblingstaucher. Opa war mein Neptun. Seine breite Brust strahlte Gesundheit und Kraft aus. Seine gegerbte Haut verlangte ständig nach freier Luft und Sonnenschein, genau wie die eines Reptils. Ein dichtes Büschel weißer Haare schützte ihn vor Sonnenstichen, indem es ihm gleichsam als Mütze diente. Das gesamte Vermögen meines Großvaters bestand aus einem rot und weiß angestrichenen Boot, einem Schnorchel, himmelblauen Schwimmflossen und einer banalen Tauchmaske. Das war sein Schatz. Oben auf dem schwarzen Schnorchel befand sich ein kleiner Käfig, in dem ein orangener Tischtennisball schwamm. Ich hatte nie verstanden, wozu dieser Ball nützen konnte. Ich stellte keine Fragen. Ich schaute zu.
Opa ließ mich ins Boot steigen. Es schlummerte am Ufer des Teichs, auf der Seite gelegen. Wir störten es beim Mittagsschlaf. Dieses Boot war ein Mensch. Jeden Abend brachte mein Großvater es in die winzige Hütte, in der er lebte. Dort bekam das Boot das größte Zimmer. Damals ähnelte Le Ranquet einer Favela. Kleine, rudimentäre Behausungen, die sich auf einem Hügel häuften. Kein fließendes Wasser, kein Anschluss ans Stromnetz. Viel Wellblech und viele Leute mit geringen Einkommen. Opas Hütte befand sich ganz in der Nähe des Teichs. Das Boot musste nur zwei Meter zurücklegen, um seine Kruppe aufs Wasser zu setzen. Ich bestieg es nicht ohne Furcht. Das Schaukeln im Augenblick, wo ich darin Platz nahm, zeigte mir an, dass ich bereits das Festland verlassen hatte. Ich setzte mich auf die Bank und klammerte mich mit einem einzigen Ausbreiten der Arme backbords und steuerbords fest; meine beiden Füße wateten in einer Pfütze abgestandenen Wasser. Mein Herz schlug immer noch heftig, als Opa ohne Vorsichtsmaßnahme zu mir ins Boot sprang. Wegen des heftigen Rucks, der darauffolgte, hatte ich immer das Gefühl, wir würden kentern. Doch jedes Mal beruhigte sich das Boot wieder, und ich ebenso. Der alte Motor wollte niemals starten, ohne zuerst große Umstände zu machen. Man musste mehrmals fest am Anwerfseil ziehen, damit er endlich hustete, knatterte und schließlich bereitwillig aus seiner Arhythmie erwachte. Eine graue Rauchwolke, die jeden Asthmatiker erstickt hätte, kündigte den Beginn unserer epischen Fahrt an. Beim Scheppern des Motors stoben die bis dahin apathischen Möwen mit entrüstetem Kreischen in die Lüfte. Sie flogen uns in Richtung Horizont voraus.
Opa sagte nichts. Er hielt das unbeugsame Steuerrad in seiner mächtigen Pranke und starrte in die Ferne. Er sah stolz aus, dieser Kapitän einer Nussschale, und ich liebte ihn.
Der kleine Kahn kannte seine Angelstelle auswendig, wie ein altes abgestumpftes Pferd. Nach kurzer Fahrt hielt er dort fast wie von selbst. Wir befanden uns in irgendwo im Nirgendwo. Die Hütte meines Großvaters hatte sich in den Sonnenstrahlen aufgelöst und die Küste war nur noch ein mit Tusche hingeworfener Strich. Das Wasser war zu Öl geworden. Es war fett und malvenfarben und verbarg seine Tiefen unter dem Widerschein des Himmels. Opa stand plötzlich auf, kerzengerade wie ein Mast. Er legte seine Tauchmaske, seinen Schnorchel und seine türkisfarbenen Schwimmflossen an, packte seine verrostete Fischreuse und tauchte, fast ohne hinzusehen, senkrecht in den zitternden Stahl des Teichs. Erneut schüttelte sich das Boot und ich sah, wie der wogende Körper meines Opas in den blinden Tiefen verschwand. Auch der orangene Tischtennisball erlosch schließlich. Ich blieb allein auf der Welt zurück, eine Gefangene des roten Boots und der Riesenhaftigkeit des Teichs. Ich wagte es nicht mehr zu atmen und hielt die Luft an, ganz wie mein untergetauchter Großvater. Wie lange blieb er unter Wasser? Mir kam es so vor, als dauerte es Stunden. Ich glühte in der Mordshitze, umzingelt von blendenden Lichtreflexen. Ein kleines verlassenes Mädchen mitten im flüssigen Wald des Étang de Berre. Der Teich hielt mich in seiner offenen Hand. Ich malte mir furchterregende Geschichten aus. Mein Großvater würde nie mehr wieder auftauchen, gefressen von einem bis dato unbekannten Seeungeheuer, oder seine Lungen wären vom Sauerstoffmangel zerfetzt, zerlegt wie gewöhnliche Artischocken. Ich würde ewig auf dem Wasser treiben, da ich weder den alten und bockigen Motor noch die schweren Ruder, die doppelt so lang waren wie ich, bedienen konnte. In solchen Augenblicken wollte ich weinen und der Weite des Teichs meine Kindertränen hinzufügen.
Doch bald sprudelten tausend langsam aus der Kloake aufgestiegene Luftblasen an die Oberfläche, wo sie sich sogleich platzend für immer auflösten. Sie kündigten das Wiederauftauchen meines Großvaters und das Ende meiner Alpträume an. Im tiefen und finsteren Wasser erkannte ich einen feinen orangefarbenen Schein, der den wogenden Körper meines geliebten Fischers hinter sich zog.
Opa tauchte auf, wie der Meeresgott persönlich, und reckte siegreich mit ausgestrecktem, triefendem Arm seine Reuse voller Aale gen Himmel. Mir blieb die Spucke weg, ich freute mich über die Rückkehr meines Helden. Erneut waren wir dem Tod knapp entkommen, wie zwei alte unverwüstliche Piraten. Opa hievte seinen delphinartigen Körper wieder in das pendelnde Boot. Er schüttete seinen klatschnassen Fang auf dem Boden des Kahns aus und ich schrie vor Schreck auf und hob die Beine, um den klebrigen und zappelnden Aalen zu entgehen.
Wir gingen in Le Ranquet an Land, pünktlich zur frischen und heiligen Stunde, in der man den Aperitif genießt. Die Nachbarn luden sich gegenseitig lautstark ein und stellten Tische auf, bescheiden aber fröhlich. Vor den Hütten stießen die Gläser aneinander, voller Gastfreundschaft und Pastis.
Opa wartete das Verrecken der Aale ab, um sie dann schnell zu kochen und mit seinen Freunden zu teilen. Das rot-weiße Boot konnte endlich auf sein Zimmer, um sich dort nach Herzenslust auszuschlafen.