Das alte Shanghai starb aus, es verlor drei bis sechs Straßen am Tag. Die moderne Stadt erdrückte und erstickte es mit ihren Wolkenkratzern. Bald, höchstens in einigen Jahren, würde es vollkommen ... [+]
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DutchTranslated by Polly Langenbach
Er hielt seinen Finger lange auf der Ader seines Opfers gedrückt. Genau da, wo das Leben pulsiert und Sie am Daumen kitzelt. Zumindest, wenn es noch da ist, das Leben. Danach drückte er zwei Finger an ihren Hals. Er wusste nicht genau, wie es ging. Die Geste hatte er in einigen langweiligen Fernsehserien gesehen. Um sich von ihrem Tod zu überzeugen, vertraute er mehr der Tatsache, dass die Wärme aus ihrem Körper entwichen war.
Endlich, dachte er. Dieses Mal hat es geklappt.
Er hatte sich diesen vor ihm ausgebreiteten leblosen Körper so häufig erträumt, dass er sich immer wieder mental kneifen musste, um es glauben zu können. Dafür schloss er die Augen so fest, bis es schmerzte, und öffnete sie dann, um sich die Leiche anzuschauen. Er verließ die Wohnung und ging von dem vornehmen Gebäude am Boulevard Exelmans zur Porte de Saint-Cloud, wo er sich in die erstbeste Bar stürzte. Obwohl es noch nicht einmal ganz hell war, bestellte er ein Glas Champagner, aus dem er jedoch nur einen einzigen Schluck trank, bevor er das Glas zur Seite schob. Dann bestellte er einen großen Kaffee mit einem Körbchen Croissants. Die vielen Gefühle hatten ihm Appetit gemacht.
Er hatte es getan. Er hatte den Schatz gehoben und bedauerte bereits jetzt, sein Glück und seinen Stolz nicht frei herausschreien zu können. Er, Alexandre Cheminot, hatte das perfekte Verbrechen geschickt vorbereitet und begangen. Er kostete bereits in Gedanken aus, wie er nachher bei der Polizei und bei der Feuerwehr anrufen würde. Er ergötzte sich im Voraus an deren Besuch in dieser Wohnung, in der alles nach ihm als Täter schrie. Wo seine Fingerabdrücke und DNA-Spuren auf allen Objekten und Möbeln verteilt waren.
Er hatte es getan. Er nahm innerhalb weniger Sekunden einen traurigen Gesichtsausdruck an, der sogleich einem Lächeln wich. Er musste diesen Ausdruck ein paar Tage beibehalten, mindestens bis zur Beerdigung. Ah, wie er diesen Augenblick herbeisehnte, an dem die alte Schachtel von ihrer verabscheuungswürdigen Familie unter die Erde gebracht würde.
Er hatte es getan. Er wendete sich wieder dem Champagner zu, benetzte seine Lippen und schob das Glas wieder weg. Er stand auf und schlängelte sich durch die bedauernswerten Kleinproleten, die hier ihren Morgenkaffee schlürften. Die Toiletten waren ganz hinten im Restaurant. Er musste pinkeln. Er schien sich um deutlich mehr zu erleichtern als nur um einen Schwung Urin. Er entledigte sich hier mit einem breiten Grinsen eines ganzen Lebens voller Lügen. Er stützte wie ein Betrunkener seine Stirn an die Wand und kümmerte sich nicht mehr darum, die Toilettenschüssel zu treffen.
Er hatte es getan. Er zog seinen Reißverschluss hoch und ging dann die Rue Michel-Ange und die beiden Etagen hoch, die zum Tatort seines Verbrechens führten. Er schaute immer wieder zur Leiche und schien schon die ersten Ausdünstungen des Todes um sich herum wahrzunehmen. Wie er dieses Zimmer und seine Einrichtung hasste. Alles stank hier nach der Alten, sogar die Vorhänge und der antike Wecker, der auf einem alten Holztisch die Zeit anzeigte.
Er hatte es getan. Er setzte sich auf das Bett neben ihm und atmete noch einmal tief ein. Ja, das war der Geruch. Eine große, grüne Fliege streifte ihn summend. Das war ein zuverlässigerer Beweis als jeder schlaue gerichtsmedizinische Bericht. Er stand auf, um das Fenster zu schließen. Er warf einen Blick auf die Straße und dachte wieder an seine lang zurückliegende Vergangenheit, an den Anfang dieser Geschichte. Er hatte sein Opfer genau hier kennengelernt, vor diesem vornehmen Gebäude, vor zweiunddreißig Jahren und einhundertzwölf Tagen. Er hatte sie in dem kleinen Feinkostladen gesehen, wo er nachher Milch kaufen würde. Die kostbaren Ringe an ihren Fingern waren es gewesen, die über ihr Schicksal entschieden hatten. Er hatte sie sehr diskret verfolgt, um herauszufinden, wo sie wohnte. Er hatte es dann so eingerichtet, dass sie sich häufig begegneten. Er lächelte sie an, er trug ihre Taschen, wenn diese zu schwer für sie schienen. Er war ihr immer und immer wieder gefolgt. Sie ging regelmäßig in Bibliotheken, und er sorgte dafür, häufig mit einem Buch unter dem Arm herumzuspazieren. Seine Bücherliebe hatte er von ihr geerbt. Er hatte sieben Monate gebraucht, bis er sie in seinem Bett hatte, und etwas weniger, um sie auf das Standesamt des Arrondissements zu führen. Ihr Altersunterschied betrug achtzehn Jahre.
Er war Nutznießer des Verbrechens, das ließ sich nicht leugnen. Eine schöne Lebensversicherung, eine 130 Quadratmeter große Wohnung am Boulevard Exelmans und drei andere Wohnungen in Paris, die vermietet waren. Und als Zugabe ein schönes kleines Vermögen, das bei Crédit Lyonnais angelegt war. Und niemand würde ihn jemals enttarnen können. Es war wirklich das perfekte Verbrechen. Er war gerade 64 Jahre alt geworden, und im März wäre ihr 82. Geburtstag gewesen. Geduld und Ausdauer, das waren seine beiden Vorzüge. Sein teuflischer Plan war perfekt aufgegangen. Sie war eines natürlichen Todes gestorben.
Chichi, die kleine Pinscher-Hündin, wollte nicht aufhören zu jaulen. Von diesem Jaulen war er am Morgen aus dem Schlaf gerissen worden. Chichi hatte die Schnauze auf die Wange ihrer Herrin gelegt und blickte ihn aus stumpfen Augen an, als wolle sie ihn um Hilfe bitten, die er ihr nicht leisten wollte. Er musste sich jetzt mit ihr auseinandersetzen. Er konnte sich nicht vorstellen, sich den kleinen Köter ans Bein zu binden. Die Hündin hatte einige graue Haare um die Lefzen. Sie würden sich darum kümmern, er und sein treuer Komplize... die Zeit. Er gab dem kleinen winselnden Ding nicht mehr als zwei Jahre. Er würde Chichi überleben, aber vor allem musste er runtergehen, um zu pinkeln. Als er zurückkam, wählte er die Notfallnummer. Er stand wieder auf und nahm die Leine vom Garderobenständer.