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Translated by Johannes Honigmann

McGregor hob seine müden Augen zum weiten Himmel voller Götter, Dämonen und Winde. In der Ferne verschwand ein Schwarm Graugänse in einer riesigen schwarzen Wolke. Die Einsamkeit lastete seit einigen Tagen schwer auf seinen Schultern, und er senkte rasch wieder seinen Blick auf den Boden, der von einer dicken Schicht Pulverschnee bedeckt war. Seine hölzernen Schneeschuhe mit Gurten aus Rentierleder knirschten in der kalten, frühmorgendlichen Luft. Seine Schritte waren langsam und weit, und sein Herz war schwer, schwerer noch als der Sack und das Gewehr auf seinem Rücken.
Nachdem er endlich die weite Lichtung durchschritten hatte, betrat er wieder den dichten Nadelwald. Seit gestern plagte ihn der Hunger. Wegen der letzten Schneefälle hatte er nicht jagen können, und das Kontor, dort an der Hudsonbucht, kam ihm nun sehr weit entfernt vor. Er nahm sich vor, nicht mehr als zwei Eierkuchen am Tag zu essen. Er berührte das Amulett an seinem Hals, ein Geschenk des Indianers Grauer Wolf, das ihm Glück bringen sollte auf seiner langen Reise zu den südlichen Gefilden. Es war der Zahn eines Vielfraßes, dem Tier, das er als das wildeste des Hohen Nordens betrachtete, wilder noch als Bären und Wölfe.
Der Schotte verlangsamte seinen Schritt erneut. Der Gedanke, dieses Land zu verlassen, stimmte ihn traurig. Es hatte ihn mit Wehmut erfüllt, als er, nachdem er seine Abreise bis zur Grenze der Vernunft, was seine Verpflegung betraf, aufgeschoben hatte, die Tür der Hütte abgeschlossen hatte, die er mit eigenen Händen aus Holzstämmen erbaut und in der er drei Jahre lang gelebt hatte. Drei Jahre, um zu vergessen, drei Jahre, um wieder aufzuleben. Die unglaublichen Lebenskräfte, die von den Wäldern und der Wildnis ausgestrahlt werden, hatten ihm dabei geholfen. So konnte sein Herz nach und nach wieder im Einklang mit der Natur schlagen. Doch schließlich hatte ihn die Einsamkeit bezwungen, und seinen festen Entschluss, bis zum Ende seiner Tage dort oben, in der Nähe des arktischen Polarkreises, zu bleiben, zunichte gemacht. Dort hatte er als Jäger und Sammler gelebt und nur die notwendige Menge an Fellen gefangen, um sich die restliche Nahrung und einige bescheidene Gegenstände zu besorgen, Bücher, Munition und Kleidung. Er hatte in den Tag hineingelebt, selbst und insbesondere, wenn der Tag nichts anderes mehr war als eine lange Nacht, die dem kehligen Gekläff der Polarfüchse und den Nordlichtern ausgeliefert war.

Als er endlich das Kontor der Hudsonbuchtgesellschaft erreichte, sah der junge Mann wie ein Greis aus. Er hatte dreizehn Tage gebraucht statt wie gewöhnlich zehn. Sein blonder Bart sah wegen des Reifs ganz weiß aus. In diesen ersten Frühlingstagen verzeichnete man noch 25 Grad unter null. Sollte er nach Baltimore zurückkehren? Er hatte noch keinen Entschluss gefasst. Wie gewöhnlich würde er zuerst seine Ladung Fuchs- und Marderpelze abgeben und dann einen Runde im Geschäft drehen, um sich von einem Teil des Geldes, das er im Winter verdient hatte, neuen Proviant zu kaufen. Der alte Donovan lächelte als er ihn kommen sah, rannte zu einem Wandschrank und kehrte mit einem Brief in der Hand zurück.
— Hier Luchs, den habe ich für dich aufbewahrt, der kam schon vor einem Monat an. Übrigens ist hier gestern der Franzose auf die Schnelle vorbeigekommen und hat gesagt, dass er dich aufsuchen geht, bist du ihm begegnet?
McGregor starrte den Brief erstaunt an und lächelte ebenfalls. Den Spitznamen hatte er erhalten, nachdem er mit einem Luchs gekämpft hatte, den er aus einer seiner Fallen hatte befreien wollen, weil er meinte, in jenem Jahr bereits genügend Felle erbeutet zu haben. Manche hatten ihn deshalb verspottet, da ein Luchspelz viel Geld wert ist, doch viele andere waren seit diesem Tag seine Freunde.
— Nein Jack, ich bin durch die Wälder gekommen.
Er öffnete hastig den Brief. Seine Hände begannen zu zittern, als er die feine, mit blauer Tinte geschriebene Schrift erkannte.

„Lieber Robin,
seit deinem Fortgang hat sich vieles verändert. Der Major, dem Vater meine Hand versprochen hatte, hat sie im letzten Moment doch noch abgelehnt, später erkläre ich dir, weshalb. Von Charlie habe ich erfahren, wohin du dich aus Enttäuschung zurückgezogen hast. Du sollst wissen, dass ich dich immer geliebt habe und dich immer lieben werde. Vater ist letztes Jahr verstorben und ich habe seinen gesamten Besitz geerbt. Ich bin jetzt also frei, zu reisen, wohin ich will und zu leben, mit wem ich will. Diesen Sommer suche ich dich auf, ich werde jemanden einstellen, der mich führt. 
Wir können noch gemeinsam glücklich werden, da bin ich mir ganz sicher.
Bis bald, hoffe ich von ganzem Herzen. Nelly."

Robin McGregor schloss die Hand um sein Amulett und drückte es ganz fest. Er wirkte wie versteinert.
— Wohl eine schlechte Nachricht? fragte Donovan zaghaft.
— Ganz im Gegenteil, eine wundervolle Nachricht... jubelte plötzlich der Mann, den alle hier nur noch den Luchs nannten.
Er ging schnell einkaufen, stärkte sich, und machte sich wieder auf den Rückweg, nicht ohne sich kurz gefragt zu haben, ob er nicht doch weiter nach Süden sollte. Was wollte denn der Franzose von ihm?...

Nach acht Tagen Eilmarsch sah er endlich seine Hütte. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Die Schlittenhunde des Franzosen bellten aus Leibeskräften, als er näherkam. Die Tür ging langsam auf und Gérard Forestier trat heraus und winkte. Dann machte er einen Schritt zur Seite und wie in einem Traum sah McGregor Nelly langsam aus dem Haus schreiten. Sie war groß und schlank, mit langen blonden Haaren, und trug eine braune Cordhose und einen dicken Pullover aus blauer Wolle. An der Hand hielt sie einen ganz kleinen blonden Jungen, der verschämt grinste. Bis auf den Bart sah er Robin wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Nelly lächelte.
— Das ist Joe, sagte sie. Der Major wollte mich nicht mehr heiraten, als er gesehen hat, dass ich schwanger war, lächelte sie. Wie du merkst, konnte ich den Sommer nicht abwarten...
Auch der Franzose lächelte gerührt.
— Ich freue mich für dich, Luchs.
— Danke, dass du sie hergebracht hast, Gérard...
McGregor gab Joe die Hand und Nelly drückte sich an ihn. So betraten sie ihr gemeinsames Haus. Der Trapper fasste das Amulett fest an.
— Ich glaube, dieses Ding bringt mir wirklich Glück... später werde ich es dem Kleinen schenken.

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